Interview Peter Weiß, Bundeswahlbeauftragter für die Sozialversicherungswahlen
Berlin, 12. Juli 2024
Welche Vorteile bietet das System der Selbstverwaltung in der Sozialen Sicherung in Deutschland?
Selbstverwaltung ist Ausdruck der Tatsache, dass die Sozialversicherungen den Versicherten und ihrer Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern gehören und keine Staatsversicherung sind. Die einzelnen Träger sind zur eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung und zur eigenen Rechtssetzung ermächtigt. Sie verfügen über ein gewisses Maß an politischer Gestaltungsfreiheit und treffen Grundsatzentscheidungen, beschließen die Haushalte und haben ein entscheidendes Mitspracherecht beim Leistungsangebot. Was die Selbstverwaltung von anderen Formen der dezentralen Verwaltungsorganisation unterscheidet, ist, dass die Aufgabenerledigung unter Mitwirkung der von der Aufgabe Betroffenen geschieht. Die Selbstverwaltung ist ein Modell demokratischer bürgerschaftlichen Partizipation.
Was waren und sind Ihre Aufgaben als Bundeswahlbeauftragter für die Sozialwahlen 2023?
Neben der Verkündung und zum Teil auch der Kontrolle von formalen Regeln für einen korrekten Ablauf der Sozialwahlen habe ich über meine gesamte Amtszeit hinweg für die Soziale Selbstverwaltung geworben und werde dies auch weiterhin machen. Dafür möchte ich auch neue Ideen entwickeln. Die Erfolge der Arbeit der Selbstverwalterinnen und Selbstverwalter müssen noch bekannter werden.
Nach den Sozialwahlen erscheint es mir notwendig, eine Reform der Sozialen Selbstverwaltungen und der Sozialwahlen anzugehen. Dafür erarbeite ich zurzeit Vorschläge.
Die Sozialwahl 2023 war die erste Wahl in Deutschland, in der eine digitale Wahl möglich war. Sie war damit auch ein Modellvorhaben für weitere Wahlen. Wo lagen die Herausforderungen und welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen?
Die Herausforderungen lagen insbesondere in der Beachtung und Umsetzung der technischen Richtlinie des BSI. Das konnte durch die hervorragende Arbeit der ARGE (ARGE Modellprojekt Online-Wahlen 2023) und dem externen Dienstleister gemeistert werden. Nachdem nun das Modellprojekt Online-Wahlen bei den fünf Ersatzkassen erfolgreich durchgeführt wurde, sollten die Online-Wahlen zum Regelangebot werden. Die gesetzlichen Krankenkassen, die gesetzlichen Renten- und Unfallversicherungsträger sollten eigenständig entscheiden können, ob sie die klassische Briefwahl um das Element der Online-Wahl ergänzen wollen. Dazu ist eine für alle Sozialversicherungsträger geltende gesetzliche Grundlage zu schaffen.
Von der Möglichkeit der Online-Wahl haben sich viele eine Steigerung der Wahlbeteiligung an der Sozialwahl 2023 erhofft. Dennoch war die Wahlbeteiligung niedriger als die Wahlbeteiligung im Jahr 2017. Dies korreliert mit einer allgemeinen Wahlmüdigkeit, die man auf Landes- und Kommunalebene beobachten kann. Wo liegen nach Ihrer Auffassung die Gründe hierfür?
Das Modellprojekt Online-Wahlen war wirklich ein historisches Projekt. Wir haben damit das Tor zur Einführung einer neuen zeitgemäßen Abstimmungsmöglichkeit aufgestoßen. Denn erstmals konnten sich in einem derartigen Umfang Wählerinnen und Wähler für diese Form der Abstimmung entscheiden. Vergleicht man die Teilnahme an der Online-Wahl mit der ersten Online-Abstimmung in Estland, die bei unter zwei Prozent lag, sind wir mit der Online-Wahlbeteiligung sehr zufrieden. Bei der Techniker Krankenkasse lag der Anteil der online abgegebenen Stimmen sogar bei etwa zehn Prozent.
Die Online-Wahl hat jedoch nicht das mangelnde Interesse an den Sozialwahlen stoppen können. Um dies zu ändern, bedarf es grundlegender Reformen.
Wie kann eine höhere Wahlbeteiligung an den Sozialwahlen erreicht sowie die Soziale Selbstverwaltung in Deutschland gestärkt werden?
Die Höhe der Wahlbeteiligung ist nur eine von mehreren Indikatoren, mit deren Hilfe sich Aussagen über die Akzeptanz der Sozialen Selbstverwaltung formulieren lassen. Bei den Sozialwahlen 2023 waren einige Neuregelungen zu beachten – insbesondere die Erfüllung einer Geschlechterquote bei den Vorschlagslisten sowie neue Muster für Vorschlagslisten und Zustimmungserklärungen.
Es besteht weiterer Handlungsbedarf, um die Soziale Selbstverwaltung zu stärken und für die ehrenamtlich tätigen Selbstverwalterinnen und Selbstverwalter attraktiver zu machen. Damit mehr Frauen und Männer für die ehrenamtliche Arbeit in der Sozialen Selbstverwaltung gewonnen werden können, ist eine attraktive und zeitgemäße Gestaltung der Selbstverwaltungsarbeit, die auch Rücksicht auf die Vereinbarkeit von Familie, Berufstätigkeit und Ehrenamt nimmt, unbedingt erforderlich. Klar ist für mich, dass eine bessere Beteiligung an den Sozialwahlen nur durch eine grundlegende Reform erreicht werden kann, durch mehr Kompetenzen, mehr Wahlmöglichkeiten, mehr Informations- und Bildungsangebot und eine kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit.
Interview Peter Weiß, Bundeswahlbeauftragter für die Sozialversicherungswahlen
Interview mit Peter Weiß vom 12.07.2024
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